Im äußersten Südosten der Provinz Kiangsu, in 31° 15' nördlicher Breite und 121° 29' östlicher Länge, an dem Zusammenflusse des Hwang-po und des Wusung-Flusses, liegt das mächtige Emporium Shanghai (die Stadt "nächst der See"), etwa zwölf Meilen flussaufwärts von dem kleinen Orte Wusung, bei welchem der gleichnamige Fluss seine Gewässer in das Delta des gewaltigen Yangtsekiang ergießt.
[Der Name Wusung kam - alten chinesischen Beschreibungen zufolge - früher jenem Wasserlaufe zu, der gegenwärtig allgemein Soochow-Creek genannt wird und zwischen dem englischen und amerikanischen Fremdenviertel in den Hwang-po einmündet. Dieser Wasserlauf, wie schon seine jetzige Bezeichnung als creek es andeutet, nur von geringer Breite, soll in alten Zeiten gegen drei Meilen breit gewesen sein, während der Hwang-po - jetzt bei Shanghai über 400 m breit - damals nur ein unbedeutender Zufluss des Wusung gewesen sein soll. Daher erklärt es sich, dass der vereinigte Unterlauf den Namen Wusung erhielt, welchen er auch beibehielt. Gegenwärtig müsste man eigentlich sagen, dass Shanghai am linken Ufer des Hwang-po liegt, welcher Fluss unterhalb der Stadt die Gewässer des Soochow-Creek aufnimmt und von der Stadt bis zur Mündung den Namen Wusung führt.]
Shanghai war seit vielen Jahrhunderten schon ein Handelsplatz von Bedeutung; nach der japanischen Invasion in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts wurde die Stadt durch Ringmauern umwallt, welche Schutz gegen feindliche Angriffe bieten sollten; gegen die Kriegskunst der Barbaren des Westens erwiesen sich aber diese Verteidigungsanstalten als machtlos, und am 19. Juni 1842 wurde Shanghai von englischen Streitkräften mühelos eingenommen und besetzt. Durch den Frieden von Nangking wurde Shanghai zum Vertragshafen gemacht; es war dies der nördlichste der fünf Häfen, deren Öffnung für den fremden Handel damals der chinesischen Regierung auferlegt worden war.
Obwohl Shanghai von der See aus nur nach Durchschiffung eines Stromdeltas voll Fährlichkeiten und nach Überschreitung der keineswegs immer gefahrlosen Flussbarre des Wusung zu erreichen ist, durfte man doch eine mächtige Entwicklung des auswärtigen Handels hier voraussetzen, wo durch den Wusung und Hwang-po Verbindungen mit Sungkiang, Soochow und von da aus mit den großen Städten an dem Kaiser-Canale bestehen, und wo der nahe Yangtsekiang die Wasserstraße für die Produkte der entferntesten Provinzen, wie Szechuen, und selbst von dem an Burma grenzenden Yünnan bildet.
Die Voraussetzungen, welche an die Lage von Shanghai geknüpft wurden, haben sich glänzend bewährt, und Shanghai ist zu einem Emporium geworden, welchem in ganz Asien nur von Bombay der Rang streitig gemacht werden kann, und dessen Handelsbewegung die Hälfte des in allen chinesischen Vertragshäfen vorkommenden Umsatzes (etwa 60% der Ausfuhren und 40% der Einfuhren) ausmacht.
Von dem im Nangkinger Frieden zugestandenen Rechte, eine Handelsniederlassung nächst Shanghai zu gründen, machte England ohne viel Zeitverlust Gebrauch. Kapitän Balfour wurde mit der Auswahl des erforderlichen Terrains betraut und als erster englischer Konsul hier bestellt. Er entschied sich für die, damals wenig einladend erscheinenden Landflächen, welche sich im Norden der Stadt Shanghai, ebenfalls am linken Ufer des Huangpu, bis zur Einmündung des (alten) Wusung und zu diesem Wasserlaufe selbst hinziehen. Zwischen der Stadt und dem für die englische Niederlassung ausersehenen Terrain blieb ein, ebenfalls durch eine Wasserader begrenzter Landstreifen frei, welcher später zur französischen Niederlassung wurde; über die Nordgrenze der englischen "Konzession" hinaus, auf dem jenseitigen Ufer des alten Wusung, oder, wie er jetzt allgemein genannt wird, des Soochow Creek, entstand noch später der amerikanische Teil der Fremdenstadt von Shanghai. Diese amerikanische Niederlassung hat sich schon seit längerer Zeit mit der englischen zu einem einheitlichen Gemeinwesen fusioniert, so dass man jetzt, von Süden nach Norden, am linken Ufer des Huangpu gelagert, folgende Teile des gesamten Handelsemporiums Shanghai zu unterscheiden hat: die chinesische Stadt, die französische und die englisch-amerikanische Konzession. Der Yang-king-pang scheidet die französische von der englischen Konzession; der sogenannte "defence-creek" umschließt die englische und die französische Konzession zusammengenommen im Westen und Süden, in letzterer Richtung längs der Wälle der Chinesenstadt in den Huangpu mündend, aber nach Westen zu nicht etwa die vertragsmäßige Grenze der fremden Territorien bildend, da eine solche - wohl im Hinblicke auf die zu erwartende Zunahme der räumlichen Bedürfnisse für die Ansiedlung - überhaupt nicht fixiert worden ist. In der Tat besitzt die englisch-amerikanische Kommunität weitläufige Gründe auch westlich des defence-creek, wo sich z. B, der große Rennplatz, Gärten und verschiedene Anlagen für die von den Engländern so sehr kultivierten athletischen und gymnastischen Vergnügungen befinden. Auch am jenseitigen Ufer des Huangpu, in und nächst der Vorstadt Pootung, ist mancher Baugrund oder sonstiger Boden in gleicher Weise im Besitze und in Benützung von Fremden, wie in den eigentlichen fremden Konzessionen. Die Partie im Norden des Soochow - Creek, die amerikanische Niederlassung, wird oft auch mit dem eigenen Namen Honkew bezeichnet. Das rechtliche Besitzverhältnis rücksichtlich der an die Fremden überlassenen Gründe wird als Mietverhältnis aufgefasst. Als Eigentümer und Vermieter wird der Landesherr, der Kaiser, angesehen; die Vermietung oder Verpachtung der Gründe gilt als auf immerwährende Zeiten geschehen, und es beträgt der Pachtschilling 1500 Cash jährlich für den Mow [mu], etwa den sechsten Teil des englischen Acre. Die offizielle Feststellung der Werte der an die Fremden überlassenen Grundstücke erfolgte im Jahre 1882 mit 10,340.650 Taels für die englische Niederlassung, mit 3,550.660 Taels für Honkew, und mit 2,306.677 Taels (im Jahre 1885) für die französische Konzession. Eine gleichzeitige Schätzung dieser Werte seitens der Handelskammer erreichte aber für alle drei Konzessionen zusammen die Summe von 24,355.000 Taels.
Von der chinesischen Stadt Shanghai ist nichts zu sagen, was nicht schon von anderen chinesischen Städten gesagt worden wäre. Auch hier findet man die anscheinend starke, in Wirklichkeit unwirksame Umwallung mit ihren alten Geschützen, Toren, Durchlässen und nassem Graben; auch hier, im Innern der Stadt, dieselben schlecht gebauten Häuser, engen und winkeligen Straßen, das Gedränge der in steter fieberhafter Tätigkeit befindlichen Bewohner; Schmutz und Unreinlichkeit überall, welche nicht allein das Auge, sondern vielmehr noch den Geruch beleidigen. Von hervorragenden Gebäuden nur einige wenige Tempel, von welchen nur jener der Schutzgöttin durch seine hübsche, wasserumgebene Lage etwas sehenswerter ist; alle Gebäude der Stadt überragt von der römisch-katholischen, massiv angelegten Kathedrale und einem schlanken, hochstrebenden Turm einer Unionisten-Kapelle.
Ganz ein anderes Bild geben die aneinandergereihten Fremdenniederlassungen. Es ist zwar nicht leicht tunlich, einen Gesamtüberblick über diese förmliche europäische Stadt des fernen Ostens zu gewinnen, weil das Terrain ein vollständig flaches, niedrig liegendes ist; aber vom Flusse aus gesehen, ist es geradezu eine ununterbrochene Reihe von prunkvollen Palästen, welche die Aussicht auf die weiter landeinwärts gelegenen Partien benimmt. Diese Paläste gehören den großen Handelsfirmen, welche sich hier zur Zeit des rapiden Aufschwunges von Shanghai sesshaft gemacht haben. Doch ist diese prunkhafte Front, welche sich am Flussufer der Fremdenstadt Shanghais hinzieht, nicht etwa nur als ein täuschender Vorhang zu betrachten, hinter welchem bald wieder das wohlbekannte Bild chinesischer, schmutzstarrender, winkeliger Gassen und Gässchen sich verbergen würde. Im Gegenteile findet man auch in den rückwärtigen Partien der Fremdenstadt, obschon diese sehr reichlich von Chinesen bewohnt sind, breite, lichte, wohl erhaltene und reinliche Straßen, gut gebaute, den sanitären Anforderungen des Klimas entsprechende Häuser, Plätze und Gärten, und ein Treiben und Leben, welches zwar von der regen, nimmer ruhenden Handelstätigkeit des Platzes Zeugnis gibt, aber von dem übermäßigen Hasten und beinahe beängstigenden Drängen ziemlich frei ist, welchem man in den engen Gässchen chinesischer Stadtteile sonst überall begegnet. Hervorragende Gebäude sind in großer Zahl vorhanden; außer den schon erwähnten palastartigen Geschäfts- und Wohnhäusern der großen Firmen, sind die Dreieinigkeits-Kathedrale, die Clubgebäude, das Theater, die Freimaurer-Loge, die Bibliothek mit dem Museum, ein Hospital und das Sailors Home, zugleich imposante und schöne Gebäude.