Jerolim von Benko, 1892
Auf die sanitären Verhältnisse in den Fremdenniederlassungen übt übrigens auch die Anwesenheit einer zahlreichen chinesischen Bevölkerung daselbst ihren Einfluss. Wenn diese Leute auch unter unverkennbar besseren Verhältnissen leben, als ihre Landsleute in der Chinesenstadt, und zu öffentlicher Reinlichkeit angehalten werden, so sind doch die Berührungen mit ihnen mannigfache, und keine für die Europäer wohltätigen. Ursprünglich beschränkte sich die Zahl der innerhalb der Konzessionen lebenden Chinesen auf die unmittelbaren Diener und Arbeiter im Solde der Fremden. Den Anstoß zu selbständiger Niederlassung von Chinesen in der Fremdenstadt gaben erst die Verhältnisse, welche durch den verheerenden Aufstand der Taiping geschaffen wurden. Obwohl in der ursprünglichen Verfassung der Fremdenkonzessionen die Sesshaftmachung von Chinesen auf diesen an fremde Nationen "auf immerwährende Zeiten" mietweise überlassenen Grundkomplexen keineswegs vorgesehen war, ja sogar den chinesischen Landesgesetzen zuwiderlief, brachten es doch die gräulichen Zustände während der Rebellion der Taiping zuwege, dass, namentlich aus der am ärgsten bedrängten Provinz Nganwhui, zahlreiche Flüchtige auf den Fremden-Konzessionen von Shanghai Schutz und Unterkunft suchten. Es waren dies zum großen Teile vermögliche Leute, welche ihre transportable Habe vor den gierigen Händen der "Befreier" zu retten suchten; und während die Flüchtigen hier relative Sicherheit fanden, erwies es sich bald für die Fremden als ein sehr gutes Geschäft, auf ihren unverbauten, weitläufigen Gründen Häuser für Chinesen zu errichten, und sie gut zu vermieten oder auch zu verkaufen. Es ist nachgewiesen, dass Gründe, welche von den Fremden um den Preis von 60 £ pro Acre gekauft worden waren, zu jener Zeit den Wert von 1000 £ erreichten. Der Cricket-ground - damals noch innerhalb der Begrenzung des defence-creek gelegen - erreichte bei seiner Parzellierung zu Bauzwecken einen Überschuss Ton 45.000 Taels, welche Summe von den Eigentümern zu einem Fonds für künftige Anlage öffentlicher Erholungs- und Vergnügungsorte gewidmet wurde. Der Preis der Lebensmittel stieg während der Bedrohung Shanghais durch die Taiping auf mehr als das Vierfache seiner gewöhnlichen Höhe.
Wenn man erfährt, dass die ursprüngliche Zahl von Flüchtlingen, etwa 20,000, während der Zeit, zu welcher Shanghai von den Taiping eingeschlossen war, auf 400.000 angeschwollen gewesen sein soll, kann man sich einen Begriff von dem Tempo machen, in welchem damals die Fremdenstadt von Shanghai sich baulich und räumlich entwickelte.
Hier war es auch, wo sich die unter Kommando von Fremden stehenden chinesischen Legionen bildeten, welchen - nächst dem Eingreifen europäischer Truppen - die endliche Niederwerfung des Taiping-Aufstandes zu danken war; der Amerikaner Ward und sein Nachfolger Burgevine hatten zwar an der Spitze solcher aus freiwillig angeworbenen Chinesen zusammengesetzten Truppen keine Erfolge aufzuweisen, und Burgevine soll sogar zu den Taiping übergegangen sein; aber der englische Ingenieurmajor Gordon, auf Bitte der chinesischen Behörden vom Admiral Hope zur Bildung von chinesischen Freischaren ermächtigt, schuf und führte eine Streitmacht, die entscheidende Erfolge errang, und ihrem, nach chinesischer Art gleich anfänglich angenommenen Namen, "das stets siegreiche Heer" alle Ehre machte. Die Verteidigung von Shanghai selbst blieb während der Bedrohung dieser Stadt durch die Taiping den englischen Land- und Seetruppen überlassen, welche auch die Wälle der chinesischen Stadt besetzten, und ein Corps von freiwilligen Verteidigern für das Territorium der Fremdenstadt entstand damals, welches sich in gleicher Organisation bis zum heutigen Tage erhalten hat: Wie schon erwähnt, hat die Tatsache, dass ein starker Teil der Einwohnerschaft der fremden Konzessionen aus Chinesen besteht, ihren Ursprung ebenfalls in den Zuständen jener Zeit der Bedrängnis; wenn auch der größte Teil der damals Flüchtigen, nach Herstellung geordneter Zustände, Shanghai wieder verlassen hat, so ist doch auch gegenwärtig eine namhafte chinesische Bevölkerung auf den Konzessionen sesshaft. Sie ist sogar in stetiger Zunahme begriffen, wie die folgenden Ziffern zeigen: Im Jahre 1870 zählte man 75.047 Chinesen in den drei Konzessionen; nach dem Zensus von 1885 aber 78.047 im englischen, 30.571 in Honkew, dem amerikanischen Teile, und an 40.000 im französischen Teile. Zu bemerken ist aber, dass an zwei Drittel dieser chinesischen Bevölkerung aus erwachsenen Männern besteht, also der Prozentsatz solcher ein sehr hoher ist, die hier Arbeit suchen und finden, ohne aber zugleich in Shanghai ein wirkliches Heim zu besitzen. In der Tat gehört von den Chinesen der Fremdenstadt Shanghais nur ein sehr geringer Teil, der Gehurt nach, der Provinz Kiangsu an, in welcher Shanghai liegt; die meisten sind Zuzügler aus der Provinz Chekiang und besonders aus Canton. Jene Chinesen, welche in Shanghai durch die Fremden beschäftigt werden, sind beinahe ganz ausschließlich in Chekiang und Canton zuhause.