Jerolim von Benko, 1892
Die öffentliche Sicherheit
lässt gegenwärtig in der Fremdenstadt Shanghai nichts zu wünschen übrig; das
Wirken des kleinen Polizeicorps — 50 Europäer, 50 Indier, 195 Eingeborene für
den englisch-amerikanischen, 27 Fremde und 29 Eingeborene für den französischen
Teil der Fremdenstadt — ist allen Lobes und geradezu der Bewunderung wert,
wenn man in Bücksicht zieht, dass diese kleine Macht so zahlreiche Chinesen zu
überwachen hat, die in allen jenen Fällen, in welchen keine Fremden mitbeschädigt
sind, nur vor ihren nationalen Beamten zur Verurteilung angeklagt werden dürfen,
wo dann „bribribery, doubtless working its effects in Shanghai as elsewhere in
China“, ein nachhaltiges Einwirken der Polizeiorgane ganz besonders erschweren
muss.
Einen wirksamen Rechtsschutz
finden die Fremden durch die, Shanghai eigentümliche Institution der gemischten
Gerichtshöfe, von welchen zwei bestehen, der eine für die
englisch-amerikanische, der zweite für die französische Kommune. In diesen
Gerichtshöfen kommen alle strafrechtlichen und zivil-rechtlichen
Angelegenheiten zur Verhandlung und Entscheidung, bei welchen Interessen von
Europäern tangiert erscheinen; chinesische und europäische Funktionäre bilden
hier gemeinsame Richterkollegien. Das Wirken dieser „mixed courts“ hat zwar
anfänglich mit großen Schwierigkeiten zu kämpfen gehabt, da die chinesische
Moral von einer Pflicht der Wahrhaftigkeit nichts weiß, eine feierliche und
verantwortliche Bekräftigung der Aussage, wie sie der christliche Eid bietet,
eine unbekannte Sache, und die Herstellung von glaubwürdigen Beweisen daher
fast unmöglich war; aber nach und nach lernte
man mit den Chinesen auch in judizieller Beziehung umgehen, scheute vor
den strengsten Strafen für falsche Zeugenaussagen oder vor Gericht gemachte
unwahre Angaben nicht zurück, und gegenwärtig dankt Shanghai der Tätigkeit
der gemischten Gerichtshöfe zu nicht geringem Teil seine allseitig geordneten
Zustände.
Außer den mixed courts und den Consulargerichten besteht,
in Shanghai seit dem Jahre 1865 noch ein englisches Obergericht, eine Supreme
Court, welche die oberste Berufungsinstanz für alle englischen Konsulargerichte
in China und Japan bildet.
Unter dem Wirken eines stets mehr Vertrauen erweckenden
Rechtsschutzes hat sich Shanghai zu einem mächtigen Handelsemporium
emporgeschwungen, dessen kommerzielle Bedeutung dadurch nicht verliert, dass
hier, wie anderwärts, die Konkurrenz eine stets größere, der Gewinn des
Einzelnen immer kleiner wird, und dass mehr und mehr eingeborene Kaufleute ihr
Trachten dahin richten, ihre Transaktionen von den in Shanghai etablierten
fremden Handelshäusern unabhängig zu gestalten.